Im Rausch der Farbmaterie und der großen Schritte

(Von Professor Dr. Manfred Schneckenburger)

Der Maler glüht. Er lodert auf, wenn er in die Nähe seiner Bilder kommt. Dann scheint ein Sauerstoffstoß durch ihn zu fahren, und er redet, weil das Herz voll ist und der Mund übergeht. Über die Bilder, den Heros van Gogh, den Lehrmeister im Geist, die Herkunft aus Weimar, Deutschland, die Wiedervereinigung, die ihm ganz persönlich in die Wiege gelegt war, das europäische Fernziel, das er vor vielen anderen visioniert und, ebenso wie Deutschland, in Bilder umsetzt, die Mission des Papstes und, ganz früh, Jahre vor dem ersten Golfkrieg erahnt, die Achse des Bösen mit dem Irak im Mittelpunkt. ...

.... Ja, Schwarzer kann, wenn er dem Zeichenstift freien Lauf lässt, verblüffend vorausschauend sein. Andere Blätter scheinen vor Nervosität zu beben. "Herzflimmern" heißt eines davon; ein Vibrato zarter Linien, Kurven, Punkte, die subtil ineinander verwoben sind. Zeichnungen mit bloß liegenden Nervenenden und erschrecktem Zukunftsblick! ...

.... Im Wesentlichen malt Schwarzer politische Emotionen, Konflikte und Träume. Seine Schwerpunkte sind Deutschland, die Wiedervereinigung, Europa, der Brückenschlag von Europa zu den USA. Er ist ein Essentialist der großen, fundamentalen Schritte, keiner, der sich in der Tagesschau verzettelt. So wie er sich in der Kunstgeschichte maßlos nur den größten Maßstäben verpflichtet fühlt: Rembrandt, Goya, Beuys und (man kann es nicht oft genug wiederholen) van Gogh, der für ihn ein für alle Mal bestimmt hat, was Malerei sein kann, soll und muss: Farbgewühl, aus dem Dynamik und Wirbel wachsen, in die sich leidenschaftliche Empathien des Malers ergießen und, neu verdichtet, als pastose Pinselspur Deutschland, Europa, Amerika hervorgehen. ...

... Noch etwas geschieht. Vom Rande her mischen sich unter die deutschen Farben locker blaue Spritzer. Bald folgen Bilder in Blau und Gelb. Schwarzer hat, noch im Status nascendi, den nächsten Schritt getan. Neben die Nationalfarben tritt ein neuer Klang. Die Farben Europas herrschen vor. Sie bringen zunächst labyrinthische Hieroglyphen hervor. Gegen 1990 stellen sich der Malerei jedoch neue Aufgaben. Es ist, als ob die Farbpigmente mit einem Mal aus feinerem Schrot und Korn wären. Ich will das nicht überinterpretieren, doch bei einem Maler wie Schwarzer, für den Faktur und Textur Ausdrucksmittel sind, zählt auch, wenn Blau und Gelb sich jetzt klein- und feinteiliger durchdringen. Das Kämpferische früherer Bilder weicht einem astralen Gefunkel. Beide Farben kommen vor allem in minimalen Dosierungen vor. Beide verdichten sich auf der Leinwand bis in die äußersten Ecken, nicht aufgrund eines erstickenden horror vacui, sondern im Gegenteil, um den Lebensraum für einen wimmelnden Verband von Farbsplittern und -flecken zu einem fluktuierenden Equilibrium auszuwiegen. Wo van Gogh ins Spiel kommt, geraten die Späne ins Rotieren. Die Partikel ordnen sich dann zu subtilen Turbulenzen im Kraftfeld der Gravitation. Es ist bewundernswert, wie reich dieser Blaugelb-Akkord durch die mikrobische Aufsplitterung wird, wie differenziert seine Massierungen und Richtungen wechseln - bis sie sich in dem Dezenniumsbild 2000 zur Eindeutigkeit eines monumental hingestrichenen gelben Kreuzes vor blauem Grund stabilisieren. ...